Im Unterschied zum Kunstmärchen sind Volksmärchen internationales Gut. Es gibt solche, die man von Indien bis Portugal und noch weit darüber hinaus in nahezu gleicher Weise und Form erzählt. Märchenmotive hat man geradezu als »kulturellen Kollektivbesitz der Völker« bezeichnet.
Aber Erzähltemperament und geistiger Hintergrund, Vorstellung und Darstellung sind doch bei den meisten Märchen von Volkstum zu Volkstum, sogar von Landschaft zu Landschaft verschieden. Solche Eigentümlichkeiten lassen oftmals Schlüsse auf Abhängigkeiten, auf Entstehung und Alter bestimmter Märchen zu.
Besonders aufschlussreich dürften in dieser Hinsicht Volkserzählungen sein, die aus Gebieten mit zweisprachiger Bevölkerung stammen. Solche legt hier Felix Karlinger vor, der anerkannt beste Kenner der Märchen der Romania. Der größte Teil seiner Texte stammt von Balkanromanen, die ehemals die Brücke zwischen Rom und Dacien bildeten, andere wurden von Wanderhirtengruppen erzählt; einige sind in Bessarabien, andere sogar in rumänischen Dörfern im kaukasischen Vorraum aufgezeichnet worden. Damit reicht die Auswahl von Istrien über Albanien und Griechenland fast bis zum Dnjepr.
Sprache und ganz bestimmte Züge und Gestalten sind allen diesen Märchen gemeinsam - manche Elemente, Figuren und Requisiten sind jedoch auch aus den Gebieten entlehnt, in denen die rumänischsprachigen Volksgruppen heute leben. Die Zweisprachigkeit (vereinzelt sogar Dreisprachigkeit) hat die Vermittlerrolle im Bereich des Erzählens dabei noch verstärkt. Trotz dieser Angleichung bleibt aber der Zusammenhang mit der Uraltradition des Mutterlandes überall gewahrt. Die oftmals gelungene Verbindung von rumänischen Eigenheiten mit fremden Zügen und Motiven ist von nicht geringem Reiz; denn Leben und Umwelt spiegeln sich in solchen Mischformen wider. Und die Unmittelbarkeit und Spontanität des Erzählens gibt diesen Märchen ihre köstliche Frische.
(das Buch ist mit Schabeblättern von Herbert Rosner illustriert)
Jedes Jahr erscheint ein Band mit Forschungsbeiträgen aus der Welt der Märchen, in dem vor allem die Vorträge des Jahreskongresses nachzulesen sind.
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