Die „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm sind in pädagogischer
Hinsicht wohl eines der einflussreichsten Bücher überhaupt, was
vonseiten der Erziehungswissenschaft erstaunlich wenig Beachtung
findet. Ebenso verwunderlich ist, dass dem Märchen in den vergangenen
200 Jahren sowohl durch die verschiedenen Zeiten und epochalen
Umbrüche vom 19. bis ins 21. Jahrhundert als auch durch die unterschiedlichen
gesellschaftlich-politischen Umstände (Kaiserreich, Diktatur,
Demokratie) durchgehend eine meist hohe pädagogische Wertschätzung
zuteil wurde. Wie kommt es, dass Märchen wie Rotkäppchen,
Sneewittchen oder Hänsel und Gretel offenbar anschlussfähig sind an
unterschiedliche Ideologien und pädagogische Zielsetzungen, die von
bloßer Anpassung über eine intendierte ideologische Formung bis hin
zu einer emanzipatorischen und nichtaffirmativen Erziehung reichen?
Andererseits kann nicht bestritten werden, dass Märchen aus erzieherischen
Gründen oft bekämpft und nicht selten als „schwarze Pädagogik“
tituliert werden. Heute vielleicht mehr denn je. Warum ist das so? Mit
diesen und anderen Fragen wollen wir uns im Rahmen dieses Seminars
näher befassen, um daran anschließend zu klären, wie eine zeitgemäße
Märchenerziehung im 21. Jahrhundert aussehen könnte.